In diesem Sommer haben Lena und ich uns einen Traum erfüllt: Auf dem E5 über die Alpen von Oberstdorf nach Meran. Dass unser Traum eine körperliche Herausforderung werden würde, war uns klar. Die psychischen Hürden der Mehrbettzimmer haben wir im Vorfeld vielleicht ein wenig zu romantisch eingeschätzt, aber ich nehme das Fazit schon einmal vorweg: die unfassbare Natur, unser Wille und Stolz über Geleistetes hat jede fehlende Stunde Schlaf wettgemacht! Worauf man bei der Vorbereitung alles achten sollte, welche unterschiedlichsten Möglichkeiten es gibt, dass berichten wir natürlich gerne ganz individuell im Büro, jetzt erst einmal unsere Eindrücke:
Tag 1 Oberstdorf – Kemptner Hütte
Wir haben uns für die Autoanreise nach Oberstdorf entschieden und haben vorab ein Nacht im Arena Hostel Allgäu in Sonthofen verbracht. Super modern und viel günstiger als die Hotels und Pensionen in Oberstdorf! Ausgeschlafen und voller Energie und Neugier ging es nach Oberstdorf. Dort besteht die erste Amtshandlung im Wiegen des Gepäcks – und glaubt uns – es gibt kein Schummeln! Wenn der gepackte Rucksack mit Schlafsack und gefüllter Getränkeflasche an die 10kg oder drüber kommt, dann gibt es keine Diskussion, dann heißt es auspacken. Gespannt wurden die Mitreisenden beäugt – wir waren eine wunderbar kleine Gruppe von nur 6 Personen. Dann ging es endlich los, mit dem Kleinbus in die Spielmannsau auf 1.002 m Höhe. Hier die erste Einführung in den Gebrauch unserer Wanderstöcke, die im Laufe der Tour immer wieder eine nicht zu unterschätzende Stütze sind! Unsere erste Etappe führte uns entlang saftiger Bergwiesen, klaren Gebirgsbächen und schönen Felsformationen – insgesamt 3 Stunden reine Wanderzeit, 870 Höhenmeter und erste faszinierende Eindrücke. Blumen und Bergkräuter säumen den abwechslungsreichen Aufstieg zur Kemptner Hütte auf 1.844 m, auf der natürlich zur Belohnung mit dem ersten Radler angestoßen wurde. Das Ausziehen der Wanderschuhe war eine Erleichterung, das Abendessen eine willkommene Stärkung, das Beziehen des Mehrbettzimmers und das ausschließlich kalte Wasser in dem Gemeinschaftswaschraum noch ein Spaß…In der Nacht hatten dann 5 müde Wanderer genügend Zeit die unterschiedlichsten „Rachepläne“ für den einen Schnarcher zu schmieden, der uns keine Ruhe gönnte.
Tag 2 Kemptner Hütte – Leutkircher Hütte
Der frühe Vogel fängt den Wurm…das gilt auch für Wanderer und so war der Rucksack bereits um 6:45 Uhr wieder gepackt und auf den Schultern. Es lagen aber auch 7,5 Stunden reine Wanderzeit vor uns. Ein kurzer Aufstieg zum Mädelejoch (1.974 m) und schon waren wir an der Grenze zu Österreich, bzw. überschritten diese. Unser erster Abstieg der Tour führte uns durch das Höhenbachtal, vorbei an wunderschönen Wasserfällen nach Holzgau (1.100 m), wo die längste Hängebrücke Tirols auf uns wartete. Mit dem Taxibus fuhren wir nach dem Mittagessen nach Kaisers und es ging wieder bergauf: Auf 2.261 Meter Höhe auf die Leutkircher Hütte. Hier habe ich das erste Mal Stoßgebete zum Himmel geschickt, dass ich Stöcke dabei hatte…wir haben eine Symbiose gebildet und nichts hätte uns trennen können. Ein Tag der Extreme – auch, weil einfach ein paar Stunden Schlaf fehlten. Aber mit Ankunft auf der Leutkircher Hütte, dem ersten Kaltgetränk, einem zünftigen Abendessen, einer warmen Dusche und dem traumhaften Ausblick war wieder alles vergessen!
Tag 3 Kaiserjoch – Stanzertal – Pettnau - Zams
Wir hatten die gestrigen Höhenmeter schnell vergessen – unser Körper nicht. Gott sei Dank starteten wir über einen aussichtsreichen, relativ flachen Weg zum Kaiserjoch. Für norddeutsche Bergziegen sorgt ja aber schon die Tatsache, sich dauerhaft über 2.000 Meter zu bewegen, für Atemnot. Herrlich, wie keiner zugeben wollte, dass selbst kleinste Steigungen uns in Schwitzen brachte, aber diese Herausforderung haben wir ja freiwillig gesucht. Die nächste folgte auf dem Fuße, denn der Abschnitt war flach, aber erforderte Schwindelfreiheit und Trittsicherheit. Die Sicherheitsanweisung, wie man sich im Falle eines Falles, z.B. beim Abrutschen auf einem Schneefeld zu verhalten hatte, schärfte unsere Konzentration und gleichzeitig unser Selbstbewusstsein: WOW, was schaffen wir hier gerade? Der Abstieg ins Stanzertal nach Pettneu am Arlberg war dagegen ein Klacks. Diesmal ging es mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiter nach Zams, wo uns eine Übernachtung in einem 4-Sterne Wellness Hotel erwartete. Was für eine Überraschung und Wohltat. Ab in die Sauna, zum Schwimmen und Entspannen. Etwas komisch war es schon, in Wanderkleidung zum Essen zu gehen, aber irgendwann stand auch hier nur noch der Genuss im Vordergrund. Diese Übernachtung haben wir auch genutzt, um einmal ein paar Teile durchwaschen zu lassen. Das spezielle Angebot für Wanderer: Eine Tüte - egal wie voll - für 8,- €. Ein Traum…in Anbetracht der sparsamen Anzahl der Teile und folgenden Mehrbettzimmer übrigens für Alle. ↑ 400 m ↓ 1.100 m 5 Std.
Tag 4 Krahberg – Pitztal – Braunschweiger Hütte
Nach einem traumhaften Frühstück, ausgeschlafen, gut riechend und voller Elan ging es mit der Venetbahn zum Krahberg auf 2.208 m. Höhe. Unser heutiger Abschnitt führte uns weiter über die Gogelsalp (2.017 m), weiter über die Galflunalpe (1.960 m) nach Wenns im Pitztal (980 m). Am Nachmittag gab es wieder einen Bustransfer nach Mittelberg auf 1.734 m Höhe und von dort ging es, fasziniert von der Gletscherwelt, hinauf zur Braunschweiger Hütte auf (2.760 m). Und jetzt wussten wir, dass all das, was wir vorher gemacht hatten, nur ein kleines Trainingsprogramm für den heutigen Tag gewesen ist! Ab einem gewissen Punkt setzt Du einfach nur noch einen Fuß vor den anderen…Auf der Braunschweigerhütte gab es gleich das nächste „Geschenk“ – zwei Zimmer zum Schlafen und wieder warmes Wasser. Ein unglaublicher Tag ging, nach über 7 Stunden reiner Wanderzeit und mehr als 2.200 Höhenmetern, mit einem spektakulären Sonnenuntergang zu Ende.
Tag 5 Rettenbachjoch – Panoramaweg - Vent
Und wieder hieß es „kraxln“ und bergauf gehen, nämlich zum Rettenbach Joch (2.990 m) – aber so richtig mit klettern und über Schneefelder. Endlich kamen auch unsere Grödel zum Einsatz – unsere „Schneeketten“ für die Schuhe! Belohnt wurden wir mit einem großartigen Blick über die Gletscherregion der Wildspitze. Hinab nach Sölden ging es dann gleich einmal über die Skipiste, am Ende mit Einkehrschwung natürlich, wie es sich gehört! Dieser wurde aber auch zum Umziehen genutzt, die Sonne hatte so viel Kraft und weiter ging es in kurzen Hosen und mit leichtem Gepäck. Allen unnötigen Ballast konnten wir tatsächlich einem Kleinbus mitgeben. Der nächste Etappenabschnitt führte uns über einen Panoramaweg, der uns immer wieder traumhafte Ausblicke auf die Stubaier und östl. Ötztaler Berge schenkte. Was für eine Weite, was für ein Blick und welch Farben! Aber auch auf dem romantisch klingenden Panoramaweg mussten schmale Pfade und steile Abgründe beschritten und überquert werden und es galt: Unbedingt trittsicher und schwindelfrei sein! Gekniffen haben wir beim Baden in einem Bergsee…die max. 10 Grad haben selbst uns Wikinger abgeschreckt. Am Nachmittag kamen wir in Vent an, wo wieder ein gemütliches Gasthaus auf uns wartete. Das hieß Doppelzimmer, warme Dusche und sogar Sauna – ein Traum!
Tag 6 Martin-Busch-Hütte – Similaunhütte – Ötzi Fundstelle
Am frühen Morgen stiegen wir zur Martin-Busch-Hütte auf 2.501 Meter auf und hielten uns an eine eiserne Regel: regelmäßiges Essen und Trinken ist wichtig! Also frisch gestärkt, und um einige Kilos erleichtert, denn wir konnten unnötiges Gepäck für die Wanderung mit der Material-Seilbahn aufgeben. Gott sei Dank, denn weiter ging es auf unseren ersten 3.000er zur Similaun-Hütte (3.019 m). Hier waren wir dann auch komplett in der handyfreien Zone angekommen, abgeschnitten von jeglichem Empfang. Es hätte so entspannend sein können, aber die Höhenluft machte uns wirklich zu schaffen. Speziell wir Mädels hatten das Gefühl, über Nacht 10 kg zugenommen zu haben und nicht mehr „Frau“ unserer Beine zu sein. Schwächeln am Ende? Wir hatten uns doch extra für diese Tour mit einem Extratag zum Similaun-Gletscher entschieden – also zusammengerissen und weiter – die Ötzi Fundstelle unterhalb der Fineilspitze wartete am Nachmittag noch auf uns! Wieder insgesamt über 2.000 Höhenmeter und rund 7 Stunden reine Wanderzeit - und was soll ich sagen: nach 6 Tagen Zusammenhalt, gemeinsamen Schweißvergießen und überwinden von eigenen- und Ländergrenzen, schläft es sich sogar herrlich im 6-er Zimmer – ungeduscht und mit bekannten Schnarch-Geräuschen.
Tag 7 Gipfeltag Similaun – Abstieg Schnalstal
Bis mittags an Tag 6 war uns der Wettergott wirklich treu geblieben und ein Sonnenloch hatte uns begleitet. Für den letzten Tag stand in unserer Beschreibung: „Im sanften Morgenlicht geht es über den Gletscher auf den Similaun, 3.606 m. Ein faszinierender Rundblick über die Texelgruppe, Ortler und die Ötztaler begeistert uns“. Wir schauten voller Erwartung morgens um 5:30 Uhr hinaus und sahen: NICHTS! Nebel, Wind, Regen… Jetzt auf und über den Gletscher? Alle angeleint auf Zuruf, nicht auf Sicht bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt? An solchen Tagen werden wahrscheinlich Helden geboren, aber wir drei Mädels aus der Gruppe entschieden uns für ein gemütliches zweites Frühstück, lagen ja noch 1.200 Meter Abstieg vor uns. Und so können sich tatsächlich nur die drei Männer unserer Gruppe auf die Schulter klopfen und sich der Similaun-Gletscher-Besteigung rühmen…und wir zollen ihnen noch heute größten Respekt! Gemeinsam ging es nach einer kleinen Pause und dem wohlverdienten Gletscher-Schnapsel steil ins Schnalstal ab. Unsere letzte Etappe, kaum zu glauben, wir hatten es geschafft und die Alpen überquert!
Völlig beseelt setzten wir uns in den Bus und machten uns auf den Weg nach Meran, wo wir den Nachmittag und unsere letzte Nacht verbrachten. Wer hier übrigens generell verlängern möchte, kann das natürlich gerne. Mediterranes Klima und Lebenslust laden einfach noch zum Verweilen ein.
Tag 8 Heimreise
Für uns stand aber die Heimreise an und so fuhren wir durch das schöne Vinschgau und den Fernpass zurück nach Oberstdorf, wo wir alle unsere Autos geparkt hatten – übrigens ist das Parken bei Buchung über die Alpinschule inklusive.
Das letzte Gruppenbild, unsere am Anfang aussortierten Habseligkeiten aus dem Rucksack wieder eingepackt und dann hieß es Abschiednehmen. Nicht ohne ein großes DANKESCHÖN an ALINA – unsere Bergführerin der Alpinschule Oberstdorf – die uns immer zum richtigen Zeitpunkt motivierte und auch sonst für wirklich alles ein offenes Ohr und guten Rat hatte.
Und wenn Ihr jetzt selbst Lust habt, einmal wandern zugehen, dann meldet Euch bei uns, wir haben alle Tipps und Tricks für Euch parat und freuen uns diese, an Euch weiterzugeben!
Es gibt die unterschiedlichsten Wanderungen, als Standortreise von einem Hotel aus, mit Gepäcktransport oder ohne, für Extremsportler und Hobbywanderer. Welche Region und Tour am besten zu Euch passt, dass finden wir dann gemeinsam heraus!
Aber egal für welche Tour Ihr Euch entscheidet – es wird ein unvergessliches Erlebnis!
Wir sind auf alle Fälle voller Stolz, gestärkt und überglücklich wieder im Norden gelandet…und inspiriert mit neuen Zielen und Ideen im Kopf.
Eure Bettina & Lena
Alpenüberquerung
Erstellt von Bettina Zwickler || Reisebericht Europa
Über die Alpen: Auf dem E5 von Oberstdorf nach Meran mit dem Similaun Gipfel (07/2021)